Arschengel? Engelarsch?



"Friede, Friede, Friede deinem Herzen und deiner Seele!" säuselt der Engel.

Sollt' er zumindest laut Stellenbeschreibung.

Aber nein, nix war's: In einer Minute bist du noch so stolz auf deine reflektierte Gelassenheit, an der du so hart gearbeitet hast, und in der nächsten pfeift dir der geflügelte Rauschgoldbruder eine Kleinigkeit vor den Latz, dass du hyperventilierend und auf niederste Instinkte reduziert zurückbleibst.

Warum ist das so in der Pflege?


In den letzten Jahren hatte ich die Ehre, einige Dutzend Pflegekollegen in verschiedenen Versorgungen einzuarbeiten.
(Erlaube mir aus Gründen der Schreibfaulheit, einen Genderdisclaimer einzufügen und schreibe hinfort von der Pflegeperson und dem Patienten - egal, ob männlich oder weiblich - als "er".)

In der Mehrzahl hochqualifizierte, gestandene Menschen, die weit mehr Berufserfahrung als ich vorweisen konnten. Oft durfte ich beobachten, wie das Verhältnis "Pfleger / Patient" kippte. Dann wurde von beiden Seiten (!) fröhlich schikaniert, getratzt, manipuliert, intrigiert. Das schien mir einfach unerklärlich, da der Patient ja in einem hohen Maße abhängig vom diensthabenden Pflegepersonal ist, vor allem, wenn Vollbeatmung das Leben erhält.

In Folge sank zwangsläufig die Konzentration dieser Kollegen bei der Arbeit. Fehler - zum Teil echt fiese - häuften sich: Wasser auf die Mühlen "Der ist untragbar, weil inkompetent", im Anschluss (vielleicht aus Scham?) und abhängig vom Temperament "Flucht" in Form von Kündigung oder "Kampf".

Mit Unterstützung der Kavallerie (sprich PDL und/oder Casemanagern, von seiten des Patienten die Angehörigen) wurden drohend verbale Messer geschwungen, die eher den allgemeinen Adrenalinpegel fütterten als zu einer Lösung beizutragen.

Letztendlich verließ uns der jeweilige Kollege. Mir blieb, die Wogen zu glätten. Ich mag schließlich in Ruhe arbeiten, und vegetativ ausgeglichen geht es dem Patienten an Leib und Seele einfach besser.

Eine mögliche Erklärung?


Vor ein paar Tagen wurde mir der schöne Begriff "Arschengel" zugespielt. Dankeschön!

Der Coach/Seminarleiter/Autor diverser Selbsthilfebücher, Robert Betz, hat ihn wohl erfunden:

"Hiermit bezeichne ich einen Menschen, der von unserem Verstand verurteilt wird, z.B. als Idiot, Verrückter, Blödmann, Drecksack, Arschloch oder eben als 'Arsch' und mit Eigenschaftswörtern belegt wird wie 'unmöglich, unverschämt, schlimm, fürchterlich, schrecklich, egoistisch, rücksichtslos, etc.'. Ich behaupte, dieser Mensch ist Ihnen in Wahrheit als Engel geschickt. Sie brauchen diese Menschen geradezu, um Ihren eigenen Frieden zu finden mit sich selbst."
(So steht es im Klappentext seines Audio-Books "Frieden mit meinen "Arsch-Engeln": Verstrickte und verstrittene Beziehungen verstehen und verwandeln. Ich distanziere mich ausdrücklich von seinen sonstigen Theorien.)

So wie ich es verstehe, meint er damit Personen, die deine grausligsten, ungeliebten Persönlichkeitsanteile spiegelnd ans Licht zerren, damit du sie endlich siehst, annimmst und bearbeitest, um innere Balance zu finden.

Aha.
Das wäre eine mögliche Erklärung für den oben geschilderten Mechanismus.
Aber warum komme ausgerechnet ich mit den schwierigsten Patienten klar?
So ganz in Ruh' und gelassen?
Ich lasse mich auf den Patienten wirklich ein, bin oft äußerst sperrig im Umgang, da hätt' mir doch mal ein "Arschengel" im Flügelnachthemd begegnen müssen?

Sucht man sich seine "Arschengel" selber? 

Und wenn ja, wo?
Wo suchst du deine?

Ich treffe auf diese Herrschaften eher im privaten Umfeld.
Vielleicht bedeckt meine Berufskleidung mögliche Andockstellen, oder ich hatte einfach Glück.

Blöd, wenn ich gleichzeitig - quasi a bissele zweigeteilt - meine Reptilienhirn-Reaktion ganz pragmatisch studieren kann. Beobachten funktioniert, aber die Kontrolle über adrenalingepushtes "Totstellen, Flucht oder Kampf" kann dann schon mal (fast) unmöglich scheinen.

Das Großhirn haut derweil hektisch eine Presseerklärung nach der anderen raus. "Rationale" Inhalte, die glasklar (?) beweisen (!), dass der andere Schuld ist an meiner Reaktion.
Ich mag mein Großhirn - du hast deines bestimmt auch gern - aber in solchen Situationen würde ich gerne die "Fraktion vom limbischen System" des Plenarsaales verweisen.

Im Privaten, gerade in der eigenen Familie, kommen ein Haufen Aspekte zusammen, total unsortiert und chaotisch. Mit Ruh' im Herzen einen klaren Gedanken fassen wird echt schwierig, wenn einer die Arschenengelmütze auf dem Kopf hat.

Wieviel leichter ist es doch beim Tango! 

Kennst du diese oder ähnliche Szenen?

  • Einer fordert dich auf, zerrt dich völlig musiksensibel-fern übers Parkett? So ein Grobian! Und genießt den Tanz auch noch? Wie kann er nur! Ich schleiche anschließend stinksauer auf meinen Platz zurück, während er - ein kleines Liedlein trällernd - sich an die nächste ranmacht, um sie zu "quälen". Unverschämtheit!
  • Ein schöner Tango mit einem Wildfremden, wirklich außergewöhlich, fast magisch. Er geleitet mich - Kavalier alter Schule - zurück an den Tisch. Dann zückt er sein Handy mit den Worten: "Wann treffen wir uns zum Trainieren? Gib mir deine Nummer!" Spontane Entzauberung, was bildet der sich eigentlich ein? Bin ich sein Trainingsgerät oder was? Könnt er mich BITTE vielleicht mal fragen, ob ich MÖCHTE? Du arroganter Vollpfosten, du blöder!

(Dir fallen bestimmt noch viele andere Beispiele ein.)

Du findest auf einer Milonga eine klare, saubere Versuchsanordnung, zuverlässig wiederholbare Gegebenheiten. Sehr praktisch, um im ersten Schritt den Arschengel als solchen zu identifizieren.

Eine gleiche oder zumindest sehr ähnliche Szene wird dir höchstwahrscheinlich wieder begegnen: Verifizieren der Botschaft wird in der Wiederholung ganz einfach möglich. Du kannst in Ruhe beobachten und dann entscheiden, ob bzw. wann du Zeit und Muße hast, die Botschaft zu bearbeiten.

Und wenn's beim Tango klappt, schaffst du es mit einem bissele Transfervermögen, die Vorgehensweise und Versuchsergebnisse ins Private und/oder Berufliche zu übertragen.

Bin selber noch am Üben. Allein das Zeitfenster zwischen "Identifizierung" und  "Bearbeitung" zu dehnen, im Herzen ruhig und im Hirn klar werden, bevor ich reagiere(n muss),empfinde ich als sehr erleichternd.

Dann werden wieder Aufmerksamkeits-Ressourcen  frei, um auch die anderen Engel zu wahrzunehmen, die dein verborgen-vergessenes "Bestes in den hinteren Geheimlagerhallen" zum Vorschein bringen: Die deinen "Engelarsch" (dein Gutes, in welcher Erscheinungsform auch immer) lieben und leuchten lassen.

Wer ist dein aktueller "Arschengel"?
Und:
Wer lässt deinen "Engelarsch", dein "Gutes", leuchten?

Herzliche Grüße,
Manuela Bößel

zum neuen Blog: www.tangofish.de

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