"Haben Sie auch Placebo?" - Gastbeitrag von Gerhard Riedl

Der "Patient an sich" ist auch ein Mensch.

 
image article im prinzip tango haben sie auch placebo
Renitenter (?) Patienten-Krampus Gerhard Riedl mit rotem Mäschle (nikolauskompatibel)

Heute kommen wir zu der interessanten, quasi auf den Kopf gestellten Frage: Können Pflegende, Therapeuten oder Ärzte auch selbst "Energievampire" sein? 

Meiner Erfahrung nach durchaus - allerdings meist ohne dass ihnen dieser Vorgang bewusst ist. Die dem Patienten abgelutschte Lebenskraft wird dann zwar lobenswert nicht zur Auffüllung der eigenen genutzt, was den Prozess aber nicht besser macht.

Der Weißkittel-Bluthochdruck ist dir bestimmt ein Begriff. Die Intensiv-Fachkrankenschwester, die am liebsten Komapatienten versorgt - mit selbigen muss sie nicht reden - sitzt in dieser Schublade. Die Heilpraktikerkollegin mit gebelltem Befehl "Loslassen!!", während sie dir ihre bestimmt tolle Spezialmassage in einem eiskalten Raum zuteil werden lässt, mag (oder kann) ebenso nur einen kleinen Teilaspekt ihrer Patientin erkennen. 

Wenn Kampf und Flucht auf der Agenda stehen - in eher sympatikuslastigen Situationen - haben Leib und Seele schlicht keine Zeit und Aufmerksamkeit frei, um das Immunsystem hochzufahren, die Durchblutung und Ernährung im sogenannten kranken Bereich zu verbessern, zur Ruhe zu kommen und gesund zu werden. Egal, ob der Säbelzahntiger dahergaloppiert, das Pflegepersonal dich hektisch akkord-abarbeitet oder der Mediziner sorgenvolle Brummellaute während einer Untersuchung von sich gibt.

"Heilung" bzw. "Linderung des Leidens" geschieht nicht nur meiner Erfahrung nach wesentlich besser in einem friedlichen Umfeld, die dem Patienten die Umschaltung Richtung Parasympatikus gestattet. Hier wird im Moment fleißig geforscht, und ich hoffe, dass die Studienergebnisse in nicht allzu langer Zeit auch auch das medizinische Fußvolk an der Patientenfront erreichen. Rühmliche Ausnahmen gibt es ja bereits.

Vielleicht sollte uns "Medizindienstleistern" jeglicher Couleur dieser Punkt eher zu denken geben als die ständigen Streitfragen, wer denn nun als Spinner einzuordnen wäre, geschweige denn, wer recht hat?

Hören wir unseren Patienten doch einfach mal zu! 

Die wissen nämlich oft ganz genau, was sie brauchen und was nicht, sind gescheiter als wir uns anmaßen, zu meinen.

Deswegen freue ich mich, einen Gastbeitrag des geschätzten Bloggerkollegen und renitenten (?) Patienten-Krampus Gerhard Riedl kredenzen zu dürfen, der aus der Sicht des "Users" das Thema beleuchtet. Wegen Nikolaus mit einem roten Mäschle.
Bühne frei!
 
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Haben Sie auch Placebo?


Neulich unterzog ich mich – wie jedes Jahr – einem Gesundheitscheck. Wenn man vor acht Jahren eine Krebsdiagnose erhalten hat, wird man doch etwas vorsichtiger und geht nicht erst bei Beschwerden zum Arzt. Allerdings fühle ich mich in der Woche um diesen Termin herum stets saumäßig.

Es ist sicherlich jedes Mal aufregend, auf die Ergebnisse zu warten. Die Hauptursache aber ist eine andere: Technisch bin ich bestimmt in besten Händen – ein positives Verhältnis zu dem Mediziner hat sich jedoch nicht entwickelt, im Gegenteil. Dabei gäbe es Gründe hierfür: Immerhin gelte ich nach schulmedizinischen Standard als „geheilt“ – das damals diagnostizierte Non Hodgkin-Lymphom hat sich nach Chemotherapie und Antikörperbehandlung bislang ohne Rezidiv verabschiedet.

Wäre dies nicht ein Anlass, mir irgendwann einmal zu sagen, das hätte ich gut gemacht, mir eventuell sogar zu diesem Erfolg zu gratulieren? (So wie meine Heilpraktikerinnen, von denen ich das öfter höre!) Offenbar nicht. Kuriert haben mich ja die Onkologen, nicht ich selbst! Das letzte Mal fragte der Arzt mich, in meiner dönerdicken Krankenakte blätternd: „Hatten Sie damals auch eine Chemotherapie?“ Ich leide sonst nicht an mangelnder Schlagfertigkeit, doch diesmal blieb mir die fällige Antwort im Halse stecken: „Nö, natürlich nicht, ich hab das mit Aprikosenkernen weggekriegt!“

In Wahrheit waren die zwölf Sitzungen Chemo und das sonstige Klinikprogramm nicht vergnügungssteuerpflichtig – ich habe mich dennoch dem Regime der Schulmedizin unterworfen und es ohne größere Schrammen überstanden. Allerdings holte ich mir weitere Hilfe: Eine Tangofreundin, welche damals gerade ihre Überprüfung als Heilpraktikerin bestand, kümmerte sich intensiv um mich, ebenso ein von ihr empfohlener Arzt, der auf Naturheilkunde spezialisiert war – meine Ehefrau nicht zu vergessen.

Das Wichtigste aber: Irgendwie war mir klar, dass ich nicht am „Lymphdrüsenkrebs“ sterben würde – fragen Sie mich nicht, warum! Und ich war vom Erfolg aller Therapien überzeugt und beschloss gleichzeitig, der Krankheit in meinem Leben nicht mehr Raum zu lassen als nötig. Daher ging ich weiter zum Tanzen und gab Zaubervorstellungen, oft im Anschluss an die Chemositzung im Krankenhaus – auch wenn das bei meiner sicher nicht zaghaften Heilpraktikerin leichte Panikanfälle auslöste. Dennoch ermutigte mich mein näheres Umfeld stets darin, an mich und meine Heilung zu glauben.

Anekdote am Rande: Beihilfe und private Krankenversicherung bezahlten fast alle Therapien, sogar die komplementären – mit Ausnahme einer Behandlung, welche mir besonders gut tat: der Visualisierungen. Soviel zur Abrechnungs-Logik unseres Gesundheitssystems…

Wer hat mir nun zu wieviel Prozent geholfen: die Zytostatika und Antikörper, die Naturheilkunde, die Endorphine bei Zauberei und Tango, die Zuversicht meines Umfelds – oder doch ich mir selber?

Ich habe neulich (zusammen mit Manuela Bößel) eine Rezension des Buches von Anousch Mueller geschrieben: „Unheilpraktiker: Wie Heilpraktiker mit unserer Gesundheit spielen“. (Von den Lesern bei „Amazon“ erhielt diese Besprechung sehr viel Zustimmung und führte zu über 160 Kommentaren!)

Für die Autorin ist die Sache ganz einfach: „Eine optimale Arzneimittelstudie verläuft placebokontrolliert, doppelt verblindet und randomisiert.“  Also Placebo plus echtes Medikament halbe-halbe, keiner weiß, was er gerade gibt bzw. nimmt, alles und alle zufällig ausgewählt. Nach diesen Kriterien haben nur die schulmedizinischen Präparate geholfen: „Für die meisten paramedizinischen Therapien konnten bis heute keine Wirksamkeitsnachweise erbracht werden.“ (Ich lasse lieber die Grübelei darüber, welche Studien von wem finanziert werden, und wer die Fragen passend zu den Antworten formuliert…)

Okay, Akupunktur hilft vielleicht ein bisschen bei Migräne, Zuwendung sowie gar Berührung erhöhen den Serotoninspiegel und Heilpraktiker nehmen sich mehr Zeit, da sie kein Ferienhaus in Spanien finanzieren müssen – aber gegen Krebs wirkt das alles nicht. Bloßer Placeboeffekt!

Bloß? Als gelernter Naturwissenschaftler bin ich inzwischen der felsenfesten Überzeugung: Ohne Placeboeffekt wären die meisten Therapien nicht mal halb so wirksam – und dessen bedienen sich studierte Mediziner (wenn sie klug sind) ebenso wie Heilpraktiker! Wenn jemand vor Angst stirbt, helfen auch keine Pillen – und: Wer recht haben will, heilt. So einfach ist das!

Ich bin sicher, man wird dereinst die Zusammenhänge zwischen Psyche und körperlichen Abläufen (z.B. im Immunsystem) genauer erforscht haben. Aber dies ficht natürlich Autorinnen wie Anousch Mueller nicht an: „Es gibt weder das Qui noch Meridiane.“ Aha. Schön, wenn man das so genau weiß…

Warum falle ich dann jedes Mal nach einer Akupunkturbehandlung in einen erquicklichen, wohltuenden Schlaf wie nach einer großen Anstrengung? Wegen dem bisschen Piekserei? Aber klar, das sind natürlich nur „anekdotische Beweise“! (Nebenbei ist es mir auch wurscht, wie man welche Leitbahnen nennt!)

In ihrem Anti-Heilpraktiker-Werk wird Frau Mueller nicht müde, vor den unseriösen Heilungsversprechen sowie fragwürdigen, ja gefährlichen Methoden der alternativen Therapeuten zu warnen. Mein Vorschlag wäre dagegen, Patienten nicht für dümmer zu halten, als sie sind: Würde mir ein Heilpraktiker mit irgendwelchem esoterischen Schmus kommen oder mir gar von ärztlicher Behandlung abraten, wäre ich schneller aus der Praxis, als er eine Rechnung schreiben kann – umgekehrt aber auch: Als ein studierter Mediziner einmal – mit unverwandtem Blick auf den Computerbildschirm – bei mir den Leberschaden eines Patienten behandeln wollte, mit dem ich nur den Nachnamen gemeinsam hatte, suchte ich meine Heilung ebenfalls in der Flucht.

Was mir jedoch besonders an Nieren und Galle geht, ist das Geschwätz von der stets hundertprozentig „evidenzbasierten“ Schulmedizin: Ich hatte ja das Vergnügen, fast 60 Jahre lang ausschließlich mittels dieser therapiert zu werden. Ärzte erlebte ich in meiner Kinder- und Jugendzeit als Personen, welche nach einem misstrauischen sowie sorgenvollen Blick auf meine blasse Gestalt reihenweise Befunde abspulten (natürlich nur drei Minuten lang): Offenbar war bei mir gar nix in Ordnung – erst recht, als ich ab zirka fünf Jahren einen veritablen Wachstumsschub hinlegte. Der ärztliche Rat: Zurückstellung von der Einschulung, Befreiung vom Sport, Schonung allenthalben. Mit neun Jahren konnte ich noch keinen Purzelbaum und fing mir einschlägige Werturteile von Klassenkameraden und Sportlehrern ein (auch so eine Spezies, die alles ganz genau weiß)…

Heute bin ich davon überzeugt: Mir fehlte damals gar nichts außer Bewegung, frischer Luft und Medizinern, die mir halfen, an mich zu glauben. Meine Frage: Welche nachweisbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse brachten meine damaligen Ärzte dazu, so einen Schwachsinn zu labern? Die Wirkung solcher Therapien bestand lediglich aus dem Nocebo-Effekt psychischer Abwertung und sozialer Isolation!

Erst mit fast siebzehn fand ich ein Metier, welches in mir erstmals den Verdacht aufkeimen ließ, an mir könnte körperlich doch nicht alles falsch sein: das Tanzen. Damit habe ich mich im Laufe der Zeit selber „geheilt“. Eigentlich logisch, dass ich dann mit Ende fünfzig sogar dem Krebs davongetanzt bin…

Mit achtzehn befand allerdings die Ärzteschaft, ich sei immerhin gesund genug für den Wehrdienst, und war durchaus bereit, in der treffend so genannten „Sprechstunde“ darüber Vorträge (gerne über drei Minuten) zu halten. Auch an diesen medizinischen, sicherlich evidenzbasierten Rat hielt ich mich nicht.

Insofern befolge ich gerne die Empfehlung von Anousch Mueller:  „Krank sein heißt schließlich nicht, seinen Verstand an der Praxistür abgeben zu müssen.“ Im Unterschied zur ihr beziehe ich diese Aussage aber nicht nur auf Heilpraktiker-Pforten. Was ich an der Tür von Schulmedizinern allerdings zurücklasse, sind meine Emotionen. Ist besser so, denn der Herr Doktor kann damit eh nichts anfangen!

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Dankeschön! 
Der Patient ist also wirklich auch ein Mensch.   
q.e.d.
Echt!

Herzliche Grüße und bis bald,
Manuela Bößel

zum neuen Blog: www.tangofish.de

 Rezension und Diskussion zu "Unheilpraktiker" hier auf dem Blog
 
Gerhards Tango-Report: http://milongafuehrer.blogspot.de/

Peter Ripotas Artikel zum Thema:
http://wize.life/themen/kategorie/gesundheit/artikel/3144/mein-wort-zum-sonntag-die-zukunft-des-heilens
und hier:
http://wize.life/themen/kategorie/gesundheit/artikel/12286/mein-wort-zum-sonntag-was-bedeutet-heilen
und hier:
http://wize.life/themen/kategorie/gesundheit/artikel/26447/mein-wort-zum-sonntag-was-ist-krankheit
und hier:
http://wize.life/themen/kategorie/gesundheit/artikel/27181/mein-wort-zum-sonntag-was-ist-krankheit-noch-mehr-definitionen

Kommentare

  1. Keine Angst, die Zukunft hat keinen Platz für dumpfbackige und hohläugige Ideologen. Hab ich schon ein paar Mal beschrieben, z.B. hier:
    http://wize.life/themen/kategorie/gesundheit/artikel/3144/mein-wort-zum-sonntag-die-zukunft-des-heilens
    und hier:
    http://wize.life/themen/kategorie/gesundheit/artikel/12286/mein-wort-zum-sonntag-was-bedeutet-heilen
    und hier:
    http://wize.life/themen/kategorie/gesundheit/artikel/26447/mein-wort-zum-sonntag-was-ist-krankheit
    und hier:
    http://wize.life/themen/kategorie/gesundheit/artikel/27181/mein-wort-zum-sonntag-was-ist-krankheit-noch-mehr-definitionen

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    1. Lieber Peter,
      dankeschön!
      Hab die Verweise zu deinen Artikeln oben in der Rubrik "das könnte dich auch interessieren" verlinkt (bequem anklickbar ;)
      Einen schönen Tag und herzliche Grüße,
      Manuela

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Aktualisiert am 15.10.19