Katzengold

Die Fortsetzung von Peter Ripotas Gastbeitrag: 

"Mein Leben als Schiffskater"



Madame Rosalie hat mich gebeten, sie heute in ihrem "G'schäft" zu vertreten. Sie betreibt eine Praxis als Wahrsagerin mit Schwerpunkt "Rückführung in frühere Leben". Meinen Einwand, dass ich davon keine Ahnung hätte und mich dafür total inkompetent fühle, entkräftete sie:

"Erzähl den Klienten einfach, was sie hören möchten, was sie gerne gewesen wären. Das kannst du schon. Ist wie Tangotanzen. Hier hast noch eine Kurzeinweisung." Damit drückt sie mir einen handgeschriebenen Zettel in die Hand, klappt sie ihren Koffer zu, wirft uns Luftküsse herüber und entschwindet pfeifend Richtung Taxi und Urlaub.

Blut und Wasser schwitze ich, während ich mir meinen Schal zum Turban wickle und den schweren Wahrsagerinnen-Schmuck anlege. Pablo plaziert mich in Madames Plüschsessel, zieht die Vorhänge vor, sorgt für schummrige Beleuchtung und poliert noch einmal die Kristallkugel auf dem Tischlein vor mir. "Die ist nur Deko, keine Angst. Die Leut' mögen das. Du bist geheimnisvoll, und ich kümmere mich um's Organisatorische und die Gage, okay?", meint er im Rausgehen. Es hat geklingelt. Ich studiere noch einmal den Zettel.

Ich atme tief durch und sammle meine Restwürde, um sie der ersten Klientin zu präsentieren: Einer flotten, nach teurem Parfum duftenden Mittfünfzigerin in hohen Schuhen und Kostümchen, mit rot gefärbtem Kurzhaarschnitt und schmalen, manikürten Händen. Körperlich hart arbeiten wird diese Dame bestimmt nicht.

Sie hätte diese Sitzung zum Geburtstag geschenkt bekommen - "Ist das nicht drollig?" - und glaube ja eigentlich nicht an solche Sachen. Ihre Lachen perlt durch den Raum - das zweite "Ha" der Kaskade schlägt mir lauter und heller entgegen als die restlichen Lachanteile. Aber einen schon bezahlten Gutschein könne man ja nicht verfallen lassen, gell? Na toll. Zum Anfangen gleich "hoher Zickenfaktor". Darüber hat Rosalie nix gesagt.

Ihrem Spickzettel entsprechend bitte ich die Dame, ihre Augen zu schließen, und beginne ablesend mit der Tranceinduktion. Die funktioniert tatsächlich! Pablo blinzelt aufmunternd herüber, zeigt Daumenhoch. Dann bitte ich sie, sich umzusehen. Sie erzählt von grünem (?) Meer, einer frischen Brise und Salzgeschmack auf der Haut. "Nein, das ist ja Fell! Ich spüre Haare auf der Zunge!", korrigiert sie sich erstaunt.

Was ist das jetzt für ein Mechanismus? Die Kristallkugel beginnt sanft zu schimmern wie ein Opal. Blaue und grüne Schwaden formen ein Bild: Ozean bis zum Horizont, am unteren Rand dunkles, salzverkrustes Holz. Eine Reling? Eine wettergegerbte Männerhand gestikuliert durch die Szene.

Oh Gott! Wie soll ich denn da die ehemalige Prinzessin glaubhaft hineinerzählen?

"Drehen sie sich bitte um. Was sehen sie?"
Sie verzieht angeekelt das Gesicht: "Dreckige Kerle, ungefähr ein Dutzend. Die johlen und schmeißen welche über Bord. Grässlich! Und eine Frau, auch ungepflegt, aber ganz hübsch. Soweit ich sehen kann: Sie hat sich hinter dem Anführer versteckt. Warum sind die alle so riesig? Ich hab Angst!"
"Ist da auch Meer?"
"Ja, scheint ein Schiff zu sein. Der Boden schwankt ein wenig."
Pablo tupft diskret die kleine Wasserpfütze auf dem Tischlein fort. Es riecht nach Salz und Sonne auf Holz.

"Gut. Gehen wir ein Stück weiter in der Zeit. Wo sind sie jetzt? Ist es jetzt besser mit der Angst?"
"Ja. Ich glaub', wir sind jetzt unter Deck. Die Typen essen jetzt. Woah, wie die schmatzen und schlürfen. Puh! Und da hockt so ein struppiges Katzenviech ganz dicht neben mir. Das will sich wohl einschleimen. Ich hab Hunger!"

Die Kristallkugel zeigt, wie die weiße Katze den roten Kater von der Anrichte schubst. Der trollt sich zwischen die Stiefel der Anwesenden und futtert Herabgefallenes aus dem Dreck. Ein paar Happen reicht er an die ebenfalls anwesenden Ratten weiter. Die weiße Katze dagegen stolziert auf den Tischen hinüber zum Kopfende, wo der Käptain sie und das Frollein der letzten Szene mit Leckerbissen vom silbernen Gäbelchen verwöhnt. Ob die Klientin das auch so sieht? Sie lächelt zufrieden. Die Hoffnung, das Prinzessinnendings einzubauen, habe ich aufgegeben. Die Sitzung scheint trotzdem nicht ganz schlecht zu laufen.

Im nächsten Abschnitt schildert sie, wie die wilden Kerle sich die Fingernägel schneiden, dann schrubben und anschließend das Deck reinigen - schön hintereinander her im Kreis: der Schiffs-Ronda. Der Concertinaspielende gibt den Takt für die Putzbewegungen vor. Die Sonne scheint, ein lauer Wind bewahrt vor übermäßigem Schwitzen. Eine recht friedliche Szene, die abrupt mit dem Anprall des roten Katers an die Innenseite der Kristallkugel beendet wird. Ich erschrecke so sehr, dass mir das Herz bis Hals klopft. Hoffentlich hat sie keine Risse bekommen. Madame reißt mir den Kopf ab!

Das Katzenvieh gleitet an der Innenseite des Dekostücks hinab und landet - wie es sich für eine Katze gehört - auf den Füßen. Die Kundin erzählt derweil begeistert, dass jetzt auf dem Schiff alles so viel sauberer und ordentlicher wirke. Zivilisierter halt. Es gäbe jetzt sogar einen eigenen Damenabtritt mit Schildchen an der Tür! Im Hintergrund marschiert ein Batallion Ratten mit Rucksäcklein aus dem Bild. Der rote Kater schüttelt sein struppiges Fell, grüßt ein letztes Mal wie ein Degenheld seine Männer und schließt sich hatschend der Rattenreihe an. Dann ist er fort.

Die Klientin würde nun schnurren - wenn sie es im aktuellen Leben noch könnte. Pablo zeigt mahnend auf seine Armbanduhr. Im letzten Abschnitt ihres früheren Lebens schildert die Kundin hochzufrieden, wie sie der Schiffsmannschaft mit nicht vorhersehbaren Tatzenhieben beibrachte, sie so zu verwöhnen, wie es ihr zustand. Na, dann hat's ja doch noch geklappt mit dem Prinzessinenfaktor!
In der Kristallkugel zieht ein "Ende" in goldener Schnörkelschrift vorbei, dann wird sie wieder klar und unbelebt. So, als wär' nix gewesen.

Ich zähle rückwärts von 10 bis 1 - Rosalies Anweisungen folgend - führe die Klientin zurück ins Hier und Jetzt. Und mich auch. Pablo schaltet eine Lampe an. Die Dame streckt sich, ihre Armreifen klimpern. "Das war ja lustig! Ha-Ha-ha-ha! Woher haben sie denn gewusst, dass ich Tango-Kreuzfahrten anbiete?" Sie zieht einen Stapel Flyer aus der Handtasche, legt ihn wie selbstverständlich auf das Tischlein. Gut, dass Pablo die Pfütze aufgewischt hat. Nach "Tschüssi!" und zwei in die Luft gehauchten Küsschen stöckelt sie von dannen.

Pablo schließt die Praxistür hinter ihr und bringt mir einen starken Kaffee. Den brauch ich jetzt. Ganz schön aufregend. Ich hebe die Kristallkugel aus ihrem Samtbett und untersuche sie rundum: keine Kabel, keine Buchse, nix! Oh Mann! Rosalie, Rosalie...

Um die Zeit zum nächsten Termin zu überbrücken, werfen wir einen Blick in das abgesetzte Werbematerial: Auf dem Titelfoto grün-blaues Meer an Sonnenuntergang, davor prangen die teuer pedikürten Füße der Klientin in Tangostilettos. Gülden! Was sonst...

Das war ein Gustostückerl aus unserem "Buch Männer führen, Frauen folgen? Geschlechterbeziehungen im echten Leben und im Tango"


Herzliche Grüße und bis bald,
Manuela Bößel

zum neuen Blog: www.tangofish.de

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